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ARCHITECTURAL DESIGN | FUN PALACE ICC _Programmatic reUse concepts for a 'spaceship on hold'

Das ICC als Modell einer offenen Gesellschaft

Das International Congress Centrum (ICC) Berlin gehört, ähnlich wie der kürzlich geschlossene Flughafen
Tegel, zu den konzeptionell prägnantesten Gebäuden, die in Deutschland in den letzten 70 Jahren entstanden sind. Von außen betrachtet mag man über den wuchtigen, hangarartigen, metallisch schimmernden und introvertierten Charakter des ICC geteilter Meinung sein. Allerdings besteht der urbane Umraum vollständig aus sechs- bis achtspurigen Ausfallstraßen und Autobahnen. Sie umtosen diese ICC-Insel und geben dem Gebäude mithin keinen Anlass, dialogisch und transparent mit einem Außen zu interagieren.

Im Inneren des Gebäudes sind die Besucher*innen dagegen unmittelbar beeindruckt von der optimistischen, heiter-ironischen Inszenierung eines retrofuturistischen ‚Raumschiffes‘. Das farbintensive und bis ins Detail liebevoll ausgeführte Konzept eines ‚Abflugortes ins Offene‘ evoziert eine Aufbruchsstimmung, die die Berliner*innen seit langem nicht mehr in dieser architektonischen Qualität und Beschwingtheit in ihrer Stadt erleben konnten.

Architekturkonzepte der Nachwendezeit in Berlin

Wie uninspiriert wirken dagegen die meisten Neubauten der letzten Jahre in Berlin. Dies betrifft nicht nur die Juryentscheidung zum neuen Stadtquartier am Potsdamer Platz. In einem Aufsehen erregenden Internationalen Wettbewerbsverfahren mit zum Teil spektakulären Visionen zur architektonischen Zukunft der Stadt, hat sich die Jury schlussendlich für einen recht mutlosen Weiterbau der in Berlin vertrauten Blockrandbebauung entschieden. Rem Koolhaas soll damals, wegen dieser verpassten einmaligen Chance, die Jurysitzung aufgebracht verlassen haben und war danach lange Zeit nicht mehr präsent in Berlin.

Dies betrifft auch die schon heute schlecht gealterten Steintapeten-Lochfassaden-Entwürfe in Berlins neuer Mitte, die in der Nachwendezeit jeden mutig-pointierten Aufbruch verweigerten, zumeist auch jeden Charme, jeden Esprit vermissen ließen. Später waren es die ‚Town Houses‘ der Nullerjahre, gebaut im klischeehaften Investorenschick für maximal Besserverdienende, die der real existierenden Wohnungsnot und den sozialen Verhältnissen in der Stadt nicht im Ansatz gerecht wurden.

Zuletzt ist es die Travestie eines ‚Schlosses ohne König‘ (weshalb es nicht Schloss genannt werden soll), dessen einflussreicher Förderverein sich aktuell einer Diskussion über die politisch rechten Gesinnungen einiger seiner Mitglieder ausgesetzt sieht.

Das Potenzial des ICC

In diese beklagenswerte Stimmung des nur mäßig gelungenen Neustarts für Berlin nach dem Mauerfall hinein, erlebt man im ICC die beherzte Realisierung eines gesellschaftlichen Utopiemodells, das der fast revolutionären gesellschaftlichen Aufbruchsstimmung der 1960er und 70er Jahre eine klare Vision und ein Gesicht gab:

Die Verkehrsflächen sind so redundant und suggestiv angelegt, dass man sich - selbstvergessend - in ein schier endlos großes, performatives Raumkontinuum hineinziehen lassen kann. Treppen und Rolltreppen saugen die Besucher*innen buchstäblich hinein und hinauf auf die schwebenden Plateaus und in die großen Säle.

Überall finden sich Hinweise auf futuristische Transport- und Infrastruktursysteme. Die Assoziation an einen Flughafenterminal ist omnipräsent.

Manches Interieur erinnert - sicherlich beabsichtigt - an Science-Fiction-Filme wie 2001: A Space Odyssey von Stanley Kubrick. Der Film hatte 10 Jahre vor der Fertigstellung des ICC seine Kinopremiere. Auch das Licht und die wechselnden Lichtstimmungen verstärken den Charakter eines Gebäudes, das man nicht betritt, um etwas zu finden, sondern um sich darin zu verlieren.

THE SUN MACHINE IS COMING DOWN

Die Initialzündung zur Wiederaneignung des seit 2014 stillgelegten Gebäudes war eine Ausstellung der Berliner Festspiele im Jahr 2021. Mit Performances, Artistik, Musik, Filmen und Rauminstallationen lud das Projekt The sun machine is coming down dazu ein, die Architekturikone im Zusammenspiel mit künstlerischen Arbeiten zu erkunden und neu zu konfigurieren. Der Erfolg war phänomenal und der Dialog zwischen dem 45 Jahre alten Bauwerk und den aktuellen Artefakten zeigte dessen eminentes Potenzial für radikale Aneignungen durch die Gegenwartskultur schlaglichtartig auf. Seit diesem großen Publikumserfolg setzt sich die Idee eines ICC als Berliner Antwort auf das weltberühmte Pariser Centre Pompidou (der Architekten Piano/Rogers) in den Köpfen der politisch Verantwortlichen fest.

Recherche, Programm und Programmierung

Der Entwurf befasst sich zunächst mit grundlegenden entwurflichen Recherchen zu den 1960er und 70er Jahren und zu relevanten Akteur*innen dieser Zeit wie CEDRIC PRICE (Fun Palace), ARCHIGRAM, YONA FRIEDMAN, SUPERSTUDIO, CONSTANT NIEUWENHUYS u.a. Ebenso setzen wir uns architekturhistorisch und zeichnerisch-analytisch mit dem ICC-Gebäude selbst auseinander. Wir entwickeln daraus pointierte Szenarien für einen offenen kulturellen Kommunikationsort.

Gesucht ist ein FUN PALACE ICC, ein Ort für Performance, Bildende Kunst, Musik, Film, Theater, Tanz, Artistik, AI/AR/VR, für wissenschaftliche Diskurse und gesellschaftliche Verhandlungen über die Frage, wie wir in Zukunft zusammenleben wollen.

Jenseits einer kulturellen Nutzung spielt auch die rustikal-großstädtische Nachbarschaft eine Rolle bei der möglichen Programmierung des Gebäudes. Dies sind z.B. der Zentrale Busbahnhof, ein weitläufiger Trucker-Parkplatz in der AVUS-Schleife, das Artemis-Großbordell, oder wild campierende Durchreisende. Das ICC ist aufgrund seiner Größe absolut in der Lage, einen Clash der künstlerischen Szene mit der Realwelt dieses wilden, nicht ungefährlichen Ankunfts- und Abfahrtsortes zu verarbeiten. Der breiten Akzeptanz eines neu programmierten ICC würde dies zugute kommen.

Wir denken nicht an eine vollständige entwurfliche Transformation des Gebäudes als Ganzem, sondern vielmehr an räumliche Visionen und Interventionen, welche die Potenziale des ICC freilegen und nutzen.

A restart for the spaceship.

Prof. Matthias Karch
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Student work by: Jakub Knorr, Björn Oswald
Examiner: Prof. Matthias Karch
Co-examiner: Prof.Folke Köbberling
Coachings: Max Justus Hoven, Mohammad Bidhendi

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